113 Architektur Fragen – Ist Ästhetik universal oder regional?
Ist Ästhetik universal oder regional? (Autor: Evgeni Gerginski)
Die Antwort ist: beides! Der Begriff an sich ist keine Konstante, sondern wird von der Geschichte geprägt und kulturell immer wieder anders ausgelegt. Ursprünglich kommt er– wie denn auch sonst - aus dem Altgriechischen „aisthesis“, der mit „Empfindung“ oder „Wahrnehmung“ übersetzt werden kann, und beschreibt die Lehre des sinnlichen Betrachtens. In anderen Kulturen, wie der fernöstlichen, hat sich seit dem Ende des 19. Jahrhundert der Begriff „bimyogaku“ etabliert, was so viel bedeutet wie „Die Lehre des Schönen“.
Es gibt damit einen klaren Unterschied in den Bedeutungen. Somit kann davon ausgegangen werden, dass die Schwerpunkte der Ästhetik je nach Kultur anders gesetzt werden. Im indischen Raum zählt Architektur, Musik und Poesie zu den Hauptkünsten, in Japan hingegen die buddhistische Welterfahrung. In China werden sogar Musiker*innen mit Politiker*innen gleichgesetzt. Um Ästhetik zu verstehen und zu empfinden, ist das lose Betrachten zu wenig. Es sind Kenntnisse der jeweiligen Kultur unabdingbar. Der westliche Betrachter sucht in der Regel immer die Symmetrie und Ordnung, die in der chinesischen Kunst zwar vorhanden ist, aber erst durch Hintergrundwissen sichtbar werden.
Trotz der unterschiedlichen Sichtweisen auf das Schöne verbreitete sich zu Beginn des 20. Jhdt. der Internationalismusin der Architektur. Diese Strömung des klassischen Modernismus setzt sich über Landes- und Kulturgrenzen mit seinen funktionalen und minimalistischen Ansätzen durch. Somit kann gesagt werden, dass es Formen und Proportionen gibt, die im menschlichen Gehirn allgemein Reize auslösen, welche auf einer universellen Schönheit beruhen. Vermutlich trug die gestiegene Mobilität und somit das Bestreben nach einheitlichen Normen zu dieser Entwicklung bei.
Wissenschaftler*innen vom Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik haben sich mit der Frage nach der universellen Schönheit näher beschäftigt und interessante Erkenntnisse im menschlichen Gehirn gewonnen: Die Areale, welche für die visuelle Verarbeitung verantwortlich sind, haben wenig Aktivitätsmuster gezeigt. Hingegen gab es beim sogenannten Default-Mode-Netzwerk (Region für Tagträumen, geistige Abschaltung, Analysen und Ruhezustand) überraschend bei allen Proband*innen ähnliche Aktivitätsmuster für die als schön empfundenen Bilder. Wir sind auf die nächsten Forschungsergebnisse zur universellen Ästhetik gespannt!